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Mikrobiom - wir leben in bester Gesellschaft

Aktualisiert: 18. Feb. 2020

Unser Darm beheimatet ein komplexes und dynamisches Ökosystem, welches wesentlich für unsere Gesundheit verantwortlich ist. Unser Körper besteht aus 1012 Zellen; etwa 1014 Bakterien leben in unserem Verdauungstrakt, bekannt sind ca. 1.000 verschiedene Spezies. Das gesamte Gewicht dieser Bewohner wird auf 2 Kg geschätzt. Zu Beginn unseres Lebens ist die Besiedelung gering und steigt dann mit zunehmendem Lebensalter an und verändert sich währenddessen durch verschiedenste Einflüsse. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es zahlreiche wissenschaftlich Studien zur bakteriellen Besiedelung des Darmes. In jüngerer Zeit hilft uns die Genomanalyse, aktuell das „next generation sequenzing“, die Forschung immer schneller und effizienter zu entwickeln. Mit dieser Methode ist es heute relativ preiswert eine präzise und umfassende Analyse des Mikrobioms darzustellen.


Mikrobiom und Adipositas

Eine der Ursachen für die weltweit grassierende Epidemie der Adipositas, sind Veränderungen in der Darmflora. Bei Menschen mit Übergewicht fand man vermindert Keime der Spezies Bacteriodetes und Firmicutes. „Transplantierte“ man diese Darmflora von Adipösen Menschen in den Darm von Mäusen, dann nahmen diese Mäuse bei gleichbleibender Ernährung an Gewicht zu und entwickelten die typischen, damit verbundenen Auswirkungen wie Bluthochdruck, Herzkranzgefäßverengung, Insulinresistenz (eine Vorstufe des Altersdiabetes), Fettleber und Veränderungen des Fettstoffwechsels, entsprechend den Veränderungen beim Menschen. Der zugrunde liegende Mechanismus scheint bei Nagetier und Mensch im Wesentlichen eine erhöhte Energieausbeute (Energy harvest) zu sein. [1,2]

In einem weiteren Mäuseversuch konnte dargestellt werden, dass die Aufnahme von Kohlenhydraten aus der verdauten Nahrung wesentlich von der Besiedelung des Darmes abhängt. Die erhöhte Aufnahme von Einfachzuckern führt zu einer gesteigerten Synthese von Fett in der Leber. Eine gleichzeitig erhöhte Ausschüttung von „fasting-induced adipocyte factor“ fördert wiederum die Einlagerung dieser Triglyceride in die Fettzellen. [8,9]


Mikrobiom und Rauchen

In diesem Zusammenhang wurde 2013 eine Interessante Arbeit zum Thema ‚Veränderung der Zusammensetzung des Mikrobioms nach Rauchentwöhnung‘ veröffentlich. In der Untersuchung fanden die Forscher einen deutlichen Unterschied des Mikrobioms bei Rauchern und Nicht- bzw. Ex- Rauchern. Nach erfolgreicher Entwöhnung erhöhte sich die Mannigfaltigkeit des Mikrobioms, vergleichbar mit den Unterschieden die man zwischen schlanken und übergewichtigen Menschen und Mäusen gefunden hatte. Es gilt als wahrscheinlich, dass die Veränderung der Darmflora mitverantwortlich für die Gewichtszunahme bei der Rauchentwöhnung ist. [3]


Künstliche Süßstoffe lösen Glukose Intoleranz aus

Die unter dem Namen „Diet Coke Story“ bekannt gewordene Studie von einer Forschergruppe aus Israel ging der Frage nach, welchen Effekt „non-caloric artificial sweeteners“ (NAS) wie Saccharin auf das Gewicht haben, da sie ja als Diätmittel beworben werden. Schon vorher gab es erhebliche Zweifel am Nutzen dieser Süßungsmittel, die sich in zahlreichen Lebensmitteln und besonders gesüßten Getränken befinden. In wenigen Fällen können die künstlichen Süßungsmittel nützlich sein; in der Mehrzahl der Fälle und besonders bei Langzeitgebrauch sieht dies allerdings anders aus. Es wird eine Glukose- Intoleranz ausgelöst, mit der Folge von Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck, Altersdiabetes. Das Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt erhöht sich.

In einem Teil dieser sehr aufwendig gemachten Forschungsarbeit wurden Daten von Nicht-Diabetikern ausgewertet, mit dem Ergebnis eines deutlichen Zusammenhangs zwischen dem Konsum von künstlichen Süßstoffen, Gewichtszunahme und den damit verbundenen schädlichen Stoffwechselveränderungen.

Im klinisch experimentellen Teil der Untersuchung war schon nach 7 Tagen eine gravierende Veränderung der Bakterienbesiedelung nachweisbar, dies bei einem, den maximalen Verzehrsempfehlungen entsprechenden Konsums von NAS.

Die Ergebnisse belegen, dass der Konsum von künstlichen Süßstoffen für das Risiko weitreichender, ungünstiger Stoffwechsel Nebenwirkungen, durch Modulation der Zusammensetzung des Mikrobioms verantwortlich ist.


Autoimmunerkrankungen

Auch zu diesem Themenbereich gibt es intensive Forschungsaktivitäten.

In einer im Juni 2016 veröffentlichten Studie wird über die Untersuchungen zu Multipler Sklerose berichtet. Die Besiedelung des Darmes ist bei MS erkrankten Menschen im Vergleich zu nicht Erkrankten deutlich verändert. Ein Ansatz für die Erklärung, ist das Fehlen bestimmter Bakterienspezies die für die Herstellung von bestimmten Stoffwechselprodukten notwendig sind. Ein gesunder Organismus benötigt diese in ausreichender Menge. Bei an MS erkrankten fehlt z.B. Propionsäure und die Gabe dieser einfachen Kohlenwasserstoffverbindung kann Symptome der Erkrankung lindern. Ein weiteres großes Themenfeld ist das Wirken komplexer immunologischer Vorgänge bei der Krankheitsentstehung, die mit Veränderungen der Bakterienzusammensetzung in Zusammenhang gebracht werden. Hier gibt es wissenschaftlich trotz umfassender Erkenntnisse noch viele offene Fragen. [7]

Rheuma, wissenschaftlich Rheumatoide Arthritis, ist ebenfalls eine Autoimmunerkrankung, deren Ursache nicht eindeutig geklärt ist. Bedeutend sind genetische Faktoren, Alter, hormonelle Einflüsse und Umweltfaktoren zu denen wieder das Mikrobiom zählt, seinerseits beeinflusst durch Rauchen, Infekte, antibiotische Behandlung usw. Eine wichtige Rolle spielt dabei das „leaky gut syndrome“, bei dem es zu „Lücken“ zwischen den Schleimhautzellen des Darmes mit Durchtritt von Substanzen in den Körper und in der Folge zu differenzierten Immunreaktionen kommt. [11]

Bei weiteren Autoimmunerkrankungen wie chronisch entzündlicher Darmerkrankung gibt es bereits vielversprechende Therapieansätze mit Behandlung des Mikrobioms durch gezielte Gabe von Probiotika und „Transplantation“.

Abbildung: Variationen im Mikrobiom bedingen unterschiedliche Wirkungen der Umgebung auf das Gleichgewicht im Stoffwechsel (metabolische Homöostase). Verschiedene Wirts- und Umweltfaktoren tragen zu interindividuellen Variationen im Mikrobiom bei. Dies wiederum führt zu einer personenspezifischen Mikrobiomregulation der metabolischen Homöostase. (SCFA, kurzkettige Fettsäuren; TMAO, Trimethylamin-N-oxid; MetS, metabolisches Syndrom.)


Was tun?


Fecal microbiome transplantation (FMT)

Das bedeutet Übertragung des Mikrobioms von einem gesunden Spender, gereinigt von den anderen Bestandteilen des „Stuhlgangs“, auf einen Empfänger mit den entsprechenden Störungen (z.B. Adipositas, Diabetes oder Autoimmunerkrankung). Das übertragene Mikrobiom soll das vorhandene, gestörte Milieu korrigieren oder ersetzen. In einer entsprechenden Studie, bei der FMT angewendet wurde, profitierten übergewichtige Empfänger vom Mikrobiom der schlanken Spender, mit Verbesserung des Stoffwechsels und Gewichtsabnahme. Ob der Effekt dauerhaft anhält ist allerdings noch nicht geklärt, hierzu sind weitere Studien erforderlich. [9]


Probiotika, Praebiotika

Anstelle von Transplantation ist die gezieltere Gabe von lebensfähigen Bakterien und ausgewählten Bakterienstämmen (Probiotika) eine Behandlungsmöglichkeit. Bestimmte Nahrungsbestandteile, wie resistente Stärke (für unser Verdauungssystem nicht aufschließbare, langkettige Zuckermoleküle), können das Wachstum wichtiger Darmbewohner begünstigen (Praebiotika).

Die Gabe von Bakterien der Gattungen Lactobacillus und Bibidobakterien beeinflusste sowohl im Tierversuch als auch beim Menschen das Auftreten bzw. den Verlauf von Diabetes Typ 1 und 2 günstig. Diese positiven Veränderungen sind leider nicht generell auslösbar. Grundsätzlich gibt es individuell große Unterschieden bezüglich der Wirksamkeit. [10]

Zahlreiche Forschergruppen weltweit arbeiten an dieser sogenannten „personalisierten Medizin“, Einerseits um wertvolle Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Andererseits beschert uns diese Forschung zahlreiche Erkenntnisse, die wir zur Optimierung unseres Lebensstils verwerten können. [6]

Wir halten Sie auf dem Laufenden.



Referenzen:

1. Turnbaugh PJ1, Ley RE, Mahowald MA, Magrini V, Mardis ER, Gordon JI.An obesity-associated gut microbiome with increased capacity for energy harvest. Nature. 2006 Dec 21;444(7122):1027-31

2. Ley RE1, Turnbaugh PJ, Klein S, Gordon JI. Microbial ecology: human gut microbes associated with obesity. Nature. 2006 Dec 21;444(7122):1022-3.

3. Luc Biedermann, Smoking Cessation Induces Profound Changes in the Composition of the Intestinal Microbiota in Humans, https://doi.org/10.1371/journal.pone.0059260

4. Suez J. Artificial Sweeteners, Glucose Intolerance_Nature 2014_doi: 10.1038/nature13793

5. Palmnäs MSA, Cowan TE, Bomhof MR et al. Low-dose aspartame consumption differentially affects gut microbiota-host metabolic interactions in the diet- induced obese rat. PLoS One. 2014; 9: e109841.

6. Shapiro H. metabolic syndrome, microbiome, personalized medicine_Journal of Diabetes 9 (2017), 226–236_doi: 10.1111/1753-0407.12501

7. Chen J. Multiple sclerosis patients have a distinct gut microbiota compared to healthy controls_Nature 2016_doi/ 10.1038/srep28484.pdf

8. Backhed, F / Ding, H / Wang, T et al. The gut microbiota as an environmental factor that regulates fat storage Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. 2004 Nov. 2, v. 101, no. 44

9. Vrieze A, Van Nood E, Holleman F et al. Transfer of intestinal microbiota from lean donors increases insulin sensitivity in individuals with metabolic syndrome. Gastroenterology. 2012; 143: 913–6.e7

10. Andersson U, Bränning C, Ahrné S et al. Probiotics lower plasma glucose in the high-fat fed C57BL/6 J mouse. Benef Microbes. 2010; 1: 189–96.

11. Veena Taneja, Arthritis susceptibility and the gut microbiome. Department of Immunology and Division of Rheumatology, Mayo Clinic, Rochester, MN 55905, United States

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